Freitag, 21. August 2015

Selbstschutz mit Fu Lung Pai



Gung Fu wurde entwickelt, damit die Mönche sich auf ihren Wanderungen verteidigen und im Falle eines Angriffs das Kloster schützen konnten.

Die Mönche, geschult in den buddhistischen Philosophien, erkannten aber auch, dass die kämpferische Ausbildung eines Menschen zwei Dinge voraussetzte: zum einen die körperliche Ausbildung, die den Körper kräftigt, ihn gesund hält und ihn befähigt, die entwickelten Bewegungen einzusetzen.
Zum anderen die geistige Ausbildung. Ein ungeübter Geist neigt zur Gewalt oder Angst und ist daher nicht in der Lage, mit der Verantwortung umzugehen, die das Wissen und Können des Gung Fu mit sich bringen.
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So folgte man der buddhistischen Einteilung von Himmel, Erde und Mensch. Als Erstes wurden die Mönche in der buddhistischen Philosophie und der Meditation (Himmel) unterwiesen. Fast zeitgleich wurden sie in Übungen zur Formung des Körpers (Erde) unterrichtet. Erst ab einer bestimmten Stufe wurden sie in den dritten Teil, das Kämpfen (Mensch) eingeführt.

Um sicher zu gehen, dass das Gung Fu nicht in falsche Hände geriet, mussten die Mönche bei ihrer Abschlussprüfung, die sie berechtigte sich Siu Lum-Meister zu nennen und das Kloster zu verlassen, Aufgaben bewältigen, die einen geschulten Körper und einen ausgeglichenen, verantwortungsbewussten Geist erforderten.

Der Mensch steht für die Fähigkeit zu kämpfen. Der Mensch ist die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Wie oben bereits beschrieben, war der Hauptgrund für die Entwicklung des Gung Fu der Schutz der Mönche vor Gewalt. Also lag das Hauptaugenmerk auf effektivem Kämpfen (Selbstschutz). Mit Kämpfen ist jedoch nicht gemeint, dass man durch die Straßen zieht und nach Streit sucht. Die Fähigkeit des Kämpfens bedeutet, in einer Situation, in der man angegriffen wird, entsprechend zu reagieren.
Man weiß, was man kann, was ein starkes Selbstvertrauen bewirkt. Dadurch entsteht Sicherheit. Und Sicherheit bedeutet Gelassenheit. Nur Angst und Hass führen zur Eskalation.

Bewusste Verteidigung durch kultivierten Geist

Das Ziel des Trainings besteht darin, nur in Notfällen Gegenmaßnahmen zu ergreifen und nicht sofort bei geringer Provokation zum Generalangriff überzugehen. Wenn sich jedoch ein Konflikt nicht vermeiden lassen sollte, attackiert man nicht unbeherrscht und nicht in der Absicht den Aggressor (schwer) zu verletzen.

In der heutigen Zeit ist es vorteilhaft, Selbstschutztechniken zu beherrschen, mit denen man einen Gegner ohne Verletzung kampfunfähig macht. Wenn man außer Fauststößen und Tritten keine anderen Mittel kennt, um mit einem Angreifer fertig zu werden, kann eine sowieso schon gefährliche Situation unnötig eskalieren. Da man im Fu Lung Pai der buddhistischen Philosophie große Bedeutung beimisst, handelt man bei der Anwendung der Techniken auch nach diesen. Die Kultivierung des Geistes durch den philosophischen Inhalt des Fu Lung Pai soll vor allem dazu beitragen, den Frieden zwischen den Menschen zu bewahren.
Seit jeher gibt es Situationen, in denen Selbstschutz notwendig und rechtlich wie moralisch gerechtfertigt ist. Wenn es dabei jedoch zur Anwendung übertriebener und brutaler Techniken kommt, entstehen mit hoher Wahrscheinlichkeit bleibende Verletzungen. Dies kann auch für den Verteidiger böse enden, nämlich mit einer Strafe, aufgrund überzogener Notwehr. Einige Organisationen lehren leider genau solche Techniken und verbreiten diese dann in diversen Fachzeitschriften als Technikserien.

Lernt man Gung Fu zum Selbstschutz, darf man nie die Bewahrung des Lebens aus den Augen verlieren. Wenn man auf einen Faustangriff mit einem Fauststoß zum Hals (Kehlkopf) kontert, hat dies nichts mehr mit Selbstschutz zu tun.

Kampfsport versus Kampfkunst

Betreibt man Kampfsport (z. B. Karate, Judo oder Tae Kwon Do), entsteht bei Anwendung zum Selbstschutz folgendes Problem: Durch das sportliche Training erwirbt man nicht die Fähigkeiten, die nötig sind, sich z. B. gegen einen skrupellosen Straßenschläger zur Wehr zu setzen. Wird im Training nur gelernt stilspezifische Bewegungen abzuwehren, wird auf unbekannte Angriffe meist falsch reagiert. Es entstehen sogenannte „Inzest-Stile“. Die einstudierten Abwehrbewegungen funktionieren nur, wenn der Partner mit stileigenen, oft unrealistischen Techniken angreift.
Außerdem gibt es im Sport Regeln, die beachtet werden müssen. Auf der Straße, in einer Ernstfallsituation wird sich der Angreifer weder an Regeln halten noch wird er fair kämpfen. Man wird also, wenn man sich auf seine Sporttechniken verlässt, eine böse Überraschung erleben. Eine gängige Meinung unter Kampfsportlehrern scheint zu sein, dass der, der sich sicher verteidigen will, selbst ein Schläger sein muss. Dies ist natürlich völliger Unsinn. Der ursprüngliche Grund, der zur Entwicklung der Kampfkünste führte, war der, dass auch ein körperlich unterlegener Verteidiger reelle Chancen gegen einen stärkeren und größeren Angreifer haben sollte.

Es sei hier nur noch gesagt, dass weder Funakoshi, der Begründer des Shotokan Karate noch Kano, der Begründer des Judo, oder Uyeshiba, Begründer des Aikido, bei der Entwicklung ihrer jeweiligen Interpretation der Kampfkunst die effektive Selbstverteidigung zum Ziel hatten. Das kann man in ihren Büchern nachlesen.

Ist es da nicht seltsam, wenn Lehrer dieser Stile mit effektiver Selbstverteidigung werben? Betrachtet man sich einmal eine ihrer Trainingseinheiten, muss man feststellen, dass die Aufwärmgymnastik schon einen erheblichen Teil der Trainingszeit verschlingt.
Im Fu Lung Pai gibt es keine Aufwärmgymnastik. Zu Beginn einer Trainingseinheit übt man die Formen. So wird der Körper auf natürliche und lehrreiche Weise auf die folgenden Übungen vorbereitet. Der Vorteil dieser Unterrichtsmethode ist der, dass der Schüler schon beim „Aufwärmen“ wichtigere Dinge als Gymnastik lernen kann.
Ein plausibles Argument, das gegen die Aufwärmgymnastik spricht, ist, dass der Schüler im Ernstfall auch keine Zeit hat sich aufzuwärmen. Er wird plötzlich und ohne Ansage angegriffen, d. h. er muss sofort in der Lage sein, sich verletzungsfrei zu bewegen. Lassen dies die Techniken nicht zu, sind sie für die Selbstverteidigung untauglich.
Das soll nicht heißen, dass ein Kampfsportler, der über einige Jahre Trainingserfahrung verfügt, keine Chance gegen einen untrainierten Angreifer hat. Gegen einen skrupellosen Schläger wird er aber mit Sicherheit den kürzeren ziehen. Dies hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt.

Wenn es jedoch um effektiven Selbstschutz geht, darf der Schüler nicht erst jahrelang trainieren müssen. Er muss Verteidigungsstrategien und Bewegungen zur Verfügung haben, die mit jeder Art von Angreifer fertig werden. Oberstes Ziel in der Fu Lung Pai-Selbstverteidigung ist Effizienz. Im Fu Lung Pai arbeitet man nicht mit komplizierten Kombinationen. Es werden Möglichkeiten gegen Angriffe (bewaffnet und unbewaffnet) gezeigt, die auf der Straße am wahrscheinlichsten vorkommen.
Alle Techniken basieren auf natürlichen Bewegungen.
Durch die Übungen des Fu Lung Pai werden die Reflexe geschult, damit genau die Bewegungen abgerufen werden, die nötig sind, die Bedrohung zu beenden.

Doch lässt sich Selbstschutz nicht an einem Wochenende erlernen. Viele Teilnehmer solcher Kurse halten sich danach für unbesiegbar. Bei all diesen Kursen wird fahrlässig ein falsches Selbstvertrauen vermittelt.

Das wohl unsinnigste sind reine Frauengruppen, noch dazu mit einem weiblichen Ausbilder, ohne realistische Kampferfahrung. Diese Behauptung ist nicht chauvinistisch gemeint. Wenn man sich jedoch mit realistischem, effektivem Selbstschutz befasst, merkt man schnell, wie viele Argumente gegen solche Gruppen sprechen.
Eine Frau wird von einem Mann verprügelt.
Eine Frau wird von einem Mann sexuell belästigt.
Eine Frau wird von einem Mann vergewaltigt.
Eine Frau, die an realistischem, effektivem Selbstschutz interessiert ist, muss in  
   einer gemischten Gruppe trainieren. Wer schwimmen lernen will, erzielt mit
   Trockenübungen keine Fortschritte.

Es gibt kein Patentrezept für den Ernstfall! Jeder, der von seinem System behauptet, es wäre das Nonplusultra der Schusswaffenlosen Selbstverteidigung, ist ein unseriöser Geschäftsmann, der mehr am Geld seiner Schüler interessiert ist als an deren Sicherheit.

Gerät man in eine Konfliktsituation, sollte man die nachstehenden Punkte beachten:

Angreifer

Mit wie vielen Angreifern hat man es zu tun? Ist einer oder sind mehrere davon bewaffnet?

Distanz

Kann der Gegner sofort angreifen oder muss er erst eine Distanz überbrücken? Hat er eine Waffe, die seine Reichweite erhöht?

Standpunkt

Wie ist der Untergrund beschaffen? Steht man auf rutschigem oder unebenem Boden?

Umgebung

Gibt es einen Fluchtweg oder befinden sich Personen in der Nähe, die helfen könnten? Man sollte sich jedoch nie allein auf die Hilfe von Passanten verlassen.
Befinden sich Objekte in der näheren Umgebung, die man dazu einsetzen kann, den Gegner in seinen Möglichkeiten einzuschränken (z. B. Parkbank, Laterne usw.)?

Körpersprache

Um eine gefährliche Situation erst gar nicht entstehen zu lassen oder um einem Aggressor vorzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist die richtige Körperhaltung wichtig.
Verängstigte, ausweichende Blicke, eingefallene Schultern und gesenkter Kopf sind die typische „Opferhaltung“. Diese Körperhaltung ist geradezu eine Einladung für mögliche Täter, während ein aufrechter Gang und ein entschlossener Gesichtsausdruck auf einen möglichen Angreifer abschreckend wirken.

Merkt man, dass eine körperliche Auseinandersetzung unausweichlich ist, sollte man auch bei der Wahl seiner „Kampfstellung“ vorsichtig sein. Keinesfalls sollte man sich mit geballten Fäusten vor dem Störenfried aufbauen, da diese Haltung eine aggressivere Vorgehensweise des Gegenübers provozieren könnte. Des Weiteren spricht auch dagegen, dass von umstehenden Personen (mögliche Zeugen) dies als Zeichen der eigenen Aggressivität und damit automatisch auch Mitschuld gewertet werden könnte.
Beide Hände offen vor dem Körper, mit denen beschwichtigende Bewegungen ausgeführt werden sollen, bieten relativ guten Schutz. Gleichzeitig sollte man immer laut sagen, dass man keinen Streit will.


Abschließend sei noch gesagt, dass durch das regelmäßige Training, der Schüler seinen Geist zur Ruhe bringt und so ohne Stress und Verkrampfung im Ernstfall richtig und gelassen reagieren kann. Er wird auch seine Ängste besiegen lernen.
Angst ist ein natürlicher Instinkt, genau wie Hunger oder Durst usw., der in erster Linie eine lebenserhaltende Funktion hat. Gefährlich wird es nur, wenn die Angst außer Kontrolle gerät und in Panik übergeht. Wie kann das verhindert werden?
Zuerst gilt es, die Gefahr zu erkennen, erst dann geht man daran, sie zu entkräften. Wenn man weiß, dass die Angst unbegründet ist, sollte man sich nicht von ihr kontrollieren lassen. Man sollte nicht an sie denken, ruhig und tief atmen (Bauchatmung) und versuchen sich zu entspannen. Dabei hilft, dass man übt, in sich hineinzuhorchen, um Körper und Geist in Einklang zu bringen.

Physiologie des Kampfes

In der Medizin bezeichnet man mit Physiologie die bewegten bzw. „normalen“ Vorgänge im Körper. Dieser Artikel befasst sich mit der Physiologie des Kampfes aus Sicht des Fu Lung Pai. Der Begriff „Physiologie“ bezeichnet hier also die Vorgänge eines Kampfes, im Hinblick auf die menschliche Anatomie, Techniken, Psychologie, Rechtslage und Strategie.

Was ist ein Kampf? Ein wahlloser Akt der Gewalt! Diese Definition des Begriffes Kampf enthält Treten, Schlagen, Greifen, Halten, Einsatz von Schlag- und Stichwaffen, Bodenkampf. Weiterhin enthalten sind: Schusswaffen, Zwei-, Drei- oder Vier- gegen Eins-Situationen, unfaire Tricks usw..

Ein Kampf enthält nicht: Romantik, Ehre, Fairness!

Das Fu Lung Pai ist, als traditionelles Shaolin-System, eine effektive und realistische Selbstverteidigung. Dennoch gibt es noch immer Zeitgenossen, die der Meinung sind, mit traditionellen Stilen kann man nicht kämpfen. Ich erhielt beispielsweise einmal einen Anruf von einem Interessenten, der sich nach dem Fu Lung Pai-Training erkundigen wollte. Er stellte ein paar Fragen, hörte sich die Antworten an und entgegnete nach einiger Zeit: „Na ja, klingt ja alles sehr interessant, aber mit traditionellen Stilen kann man ja nicht kämpfen.“ Auf die Frage, welchen traditionellen Stil er denn schon erlernt hätte, erfuhr ich, dass er noch überhaupt keinen trainiert hatte. Er habe ein paar Monate Jeet Kune Do (dazu später mehr) trainiert, suche jetzt aber etwas neues, da die Schule geschlossen hatte.

Anatomie - was passiert vor und während eines Kampfes in unserem Körper?

Grundsätzlich läuft, unabhängig von der Art des Reizes, immer das gleiche Reaktionsmuster ab. Begründet liegt dieses Muster in der Frühzeit,,in der es notwendig war, auf drohende Gefahren blitzschnell zu reagieren, sei es in Form von Angriff oder Flucht (Fight or Flight). Gesteuert werden diese Reaktionen vom limbischen System, unseres so genannten Reptiliengehirns.

Folgende Reaktionen laufen bei Gefahr ab:

·         die Herzfrequenz wird erhöht
·         der Blutdruck steigt
·         die Atmung wird beschleunigt
·         die Muskeln werden angespannt
·         die Pupillen weiten sich
·         die Tätigkeit der Geschlechts- und Verdauungsorgane wird herabgesetzt

Adrenalin und Noradrenalin sind Nervenbotenstoffe (Neurotransmitter), die auf den Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems) erregend wirken. Sie beschleunigen kurzfristig die Energiebereitstellung. Das zeigt sich in einer beschleunigten Herztätigkeit, Erhöhung des Blutdrucks, Freisetzung von Glukose und verstärkten Durchblutung der Muskulatur. Sie versetzen den Körper sozusagen  in Alarmzustand. Normalerweise werden Adrenalin und Noradrenalin fortlaufend in kleinen Mengen in das Blut abgegeben. In Stress- und Angstsituationen allerdings kommt es zu einer hochdosierten Ausschüttung.

Die wichtigste Aufgabe der in einer Alarmsituation freigesetzten Hormone Adrenalin und Noradrenalin besteht darin, gespeicherte chemische Energie wie Fett oder Glykogen zu mobilisieren und die Glukoseaufnahme in die Körperzellen zu unterstützen, um der gesteigerten Muskeltätigkeit ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Denkvorgänge werden unterdrückt bzw. blockiert. Das ist der Grund, warum es in Prüfungssituationen bei manchen zu einem Wissensverlust kommen kann, bei dem auch sicheres Wissen plötzlich nicht abrufbar ist – der sogenannte Blackout.

Aus diesem Grund versagt auch jede Kampfart, die uns zum Nachdenken zwingt. Die Bewegungen müssen unbewusst ablaufen, ausgelöst durch spezifische Impulse.

In der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) werden Endorphine gebildet und in den Körper ausgeschüttet. Endorphine wirken stark schmerzstillend und sind an verschiedenen vegetativen Prozessen beteiligt, unter anderem der Regulierung der Körpertemperatur, der Hemmung der Peristaltik (Darmbewegung) und der Steuerung von Antrieb und Verhalten. Sie sorgen für ein starkes Glücksgefühl, weshalb sie auch als „natürliches Opium“ bezeichnet werden.

Während uns Adrenalin und Noradrenalin stärker und schneller machen, sorgen die Endorphine dafür, dass wir im Kampf schmerzunempfindlicher werden und trotz eventueller Treffer weiterkämpfen können.

Distanz

Bei einem Kampf unterscheidet man verschiedene Distanzen. Dabei ist jedoch nochmals zu unterscheiden, zwischen den Distanzen während eines sportlichen Wettkampfs und eines realen Kampfs auf der Straße.

Bei einem sportlichen Vergleich geht man von der weitesten Distanz in die naheste.
Bei einer realen Auseinandersetzung verhält es sich völlig anders. Der Kampf wird mit höchster Wahrscheinlichkeit in der Nahen Distanz beginnen. Die weite oder Trittdistanz ist auf der Straße die unwahrscheinlichste, denn bedenkt bitte, ein Schläger, der seinen Minderwertigkeitskomplex mit fremdem Blut ausgleichen muss, wird sich nicht in zwei Meter Entfernung aufstellen und euch zum Kampf herausfordern. Vielmehr wird er sich vor euch aufbauen und versuchen euch einzuschüchtern.
Die typischen Sprüche wie z. B. „Was schaust Du so blöd?“, gepaart mit einem tölpelhaften Schubsen, sind die häufigsten sogenannten Vorspiele eines Kampfes.

Einstellung und Kampfgeist

Die besten Techniken sind wirkungslos, wenn der Betreffende sie nicht mit der nötigen Entschlossenheit oder Konsequenz einsetzt. Das Wort „Konsequenz“ hat dabei einen etwas faden Beigeschmack: Organisationen, die mit „konsequenter“ Selbstverteidigung (SV) werben, lassen die Tatsache außer Acht, dass, würde man diese SV tatsächlich anwenden mit rechtlichen Konsequenzen wegen überzogener Notwehr rechnen müsste. Mehrfach hintereinander geschlagene Fauststöße zum Hals, fortgesetzte Ellenbogenschläge und Tritte gegen einen am Boden liegenden Gegner zählen nicht zu den adäquaten Mitteln einer realistischen Selbstverteidigung, schon gar nicht nach geltendem Recht.

Und ein gesetzestreuer Bürger, der vielleicht dazu gezwungen wird, sich in einer Ernstfallsituation zu behaupten, braucht nicht noch die zusätzliche Sorge um seine Zukunft, die er sich mit einer Vorstrafe verbauen würde.

Wenn wir im also Fu Lung Pai konsequentes Handeln propagieren, so meinen wir damit nicht, den Angreifer durch den Einsatz unserer Techniken möglichst schwer zu verletzen. Unschädlich machen, bedeutet nicht töten, kontrollieren bedeutet nicht bis zur Bewusstlosigkeit auf einen Angreifer einzuschlagen.
Wodurch kann ein Kampf entstehen?

Wodurch entsteht eine Situation, in der es nötig wird, sich selbst zu verteidigen? „Selbstverteidigung wird nötig durch einen gegenwärtigen Angriff“ (§ 32 StGB). Angriffe erfolgen zum einen durch Personen, die eigene menschliche Schwächen (meist Minderwertigkeitskomplexe) durch den Einsatz von Gewalt überspielen. Zum anderen durch Personen, die durch übermäßigen Alkoholgenuss zeigen wollen (oft der eigenen Freundin oder den Kumpels), was sie selbst für ein toller Kerl sind. Das geht ihrer Meinung nach am Besten, indem sie andere verletzen.

Häufig liegt die Wurzel der Gewaltbereitschaft im Elternhaus. Einige mögen durch die Erfahrungen während ihrer Kindheit einer hohen Gewaltbereitschaft erliegen, z. B. durch Missbrauch oder Misshandlung, was im Resultat bis zu einem gewissen Maß dem oben erstgenannten Punkt entspricht. Ein anderer Aspekt ist die bewusst gewaltorientierte Erziehung: Falls Eltern ihr Kind lehren, dass Gewalt das einzige Mittel der Konfliktlösung darstellt, wird sich das ins Erwachsenenalter übertragen.

„Wenn mein einziges Mittel der Problemlösung ein Hammer ist, wird jedes Problem wie ein Nagel aussehen.“

Nun kann man weder die Schwächen oder Erfahrungen seiner Mitmenschen und die damit einhergehende Gewaltbereitschaft jederzeit erkennen, noch immer die Möglichkeit nutzen, eine Situation durch Abwesenheit gar nicht erst entstehen zu lassen. Wie also umgeht man solche Situationen?

Die beste Selbstverteidigung ist daher, die Situation durch Weggehen zu entschärfen. In meiner Schule weise ich immer wieder darauf hin, dass ein Sich entfernen oder das Weglaufen die beste Lösung ist und nichts mit Feigheit zu tun hat, sondern eher mit Cleverness. Die ganze Überlegung hat nur einen Haken:
Wäre dies immer möglich, sollte man sich eher in schnellen Sprints üben als in Kampftechniken. Doch genau weil es nicht immer möglich ist, sind Techniken zur Selbstverteidigung sinn- und wertvoll.

Man kann im Vorfeld das Risiko der Gewaltanwendung durch bestimmte eigene Verhaltensmodifikationen minimieren: Dazu zählen sowohl die eigene Ausstrahlung als auch die Körperhaltung.

Sogenannte „Opferforscher“ (Viktimologen) haben herausgefunden, dass man durch seine Körpersprache zu erkennen gibt, ob man ein Opfer ist, oder eine Person von der man als Angreifer besser die Finger lässt. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass man mit einem gesunden Selbstvertrauen für eventuelle Täter regelrecht „unsichtbar“ wird.

Gewalt kann jedoch auch durch Missverständnisse entstehen. Gerade beim Kontakt mit anderen Kulturkreisen können aus den Unterschieden der verschiedenen Normen (z. B. des unterschiedlich ausgelegten Ehrbegriffs) schnell Missverständnisse entstehen. Ein falsches Wort, dazu die vorhandene Bereitschaft des Gegenübers, den dadurch entstandenen Konflikt mit Gewalt zu lösen, und schon hat man eine Situation, in der man physische Gewalt einsetzen muss. Dass dies im Falle des Verteidigers immer im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben geschehen sollte, versteht sich von selbst.

Das Zauberwort, um solch einer Situation vorzubeugen, lautet hierbei zweifelsohne „Toleranz“. Dass diese jedoch von beiden Seiten kommen muss, ist selbstverständlich. Gerade dabei scheinen leider die meisten, völlig unabhängig von Generation oder Nationalität, die größten Probleme zu haben.

Rechtslage

Juristisch gesehen, ist die Notwehr zunächst eine Körperverletzung und so lange strafbar, bis ein Rechtfertigungsgrund nachgewiesen ist. Dieser Gedankengang ist wichtig, um zu verstehen, dass nicht die eigene (subjektive) Meinung über die Notwendigkeit und das Ausmaß einer Verteidigung entscheidend ist, sondern das Rechtsempfinden eines (objektiv) Außenstehenden.

 „Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.( § 32 StGB)

Wer sich also gegen einen Angriff (Rechtfertigungsgrund) zur Wehr setzt, handelt nicht rechtswidrig. Ein Angriff ist die unmittelbare Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten. Notwehrfähig ist somit jedes Rechtsgut, z. B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum, Besitz, Intimsphäre, Hausrecht.

Voraussetzung hierfür sind folgende Maßregeln:

Der Angriff muss

·         gegenwärtig, d. h. er muss gerade stattfinden oder unmittelbar bevorstehen und
·         rechtswidrig sein, d. h. alle Taten, die vom Gesetz mit Strafe verfolgt werden, wie z. B. Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Bedrohung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder versuchter Totschlag.

Die Notwehrhandlung besteht in der erforderlichen Verteidigung, die im konkreten Fall objektiv nötig ist, um den Angriff endgültig zu beenden und die dabei den geringsten Schaden anrichtet. Auch ein Gegenangriff, die sogenannte Trutzwehr, kann neben der Schutzwehr die erforderliche Verteidigungshandlung sein. Jedoch muss grundsätzlich die Verteidigung so gewählt werden, dass die Verhältnismäßigkeit gegenüber dem Angriff nicht überschritten wird. Ferner darf die Abwehr nicht über die erforderliche Verteidigung fortgesetzt werden. Man spricht von der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“.

Grundsätzlich ist die Überschreitung der Notwehr strafbar, da das Opfer (dies wird nun zum Täter) über die objektiv erforderliche Verteidigung und damit über die im § 32 (StGB) festgelegten Grenzen hinausgeht. Somit ist der „Verteidigende“ zum Schadenersatz gegenüber dem Geschädigten verpflichtet.
Handelt das Opfer jedoch aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken, dann ist eine Übertretung nicht strafbar.

Sprechen die äußeren Umstände für eine Körperverletzung oder eine Vergewaltigung, geht die Justiz im Großteil der Fälle davon aus, dass sich das Opfer in Verwirrung, Furcht oder Schrecken befunden hat.

Merke! Wer absichtlich einen Angriff provoziert und in der nun vorhandenen Notwehrlage den Angreifer verletzt, handelt nicht in Notwehr.

Richtet sich der Angriff gegen eine dritte Person, so spricht man bei deren Verteidigung von Nothilfe.

Psychologie

Effektive Selbstverteidigung muss immer auch die psychologische Ebene ansprechen. Wie legt man z. B. die „Opferrolle“ ab? Was bedeutet die innere Einstellung und damit verbunden, die Wirkung die man auf mögliche Kontrahenten hat?

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